Dienstag, 30. September 2014

Chaostheorie für Neueinsteiger

Ich bin ein Chaot. Definitiv. Und aus diesem Grund bin ich recht gut organisiert. Eigentlich recht gut organisiert. Kalender, Stift, Notizblock sind ständige Begleiter und Struktur ist mir wichtig. Eben weil ich so chaotisch bin. Alles was Struktur gibt, hilft mir im Kampf ums Überleben im Alltag.
In der Kita sollte es nun eigentlich tendenziell eher strukturiert zugehen. Ein Tagesablauf, eine gute Planung, Routinen und Regeln tragen dazu bei, dass es Verlässlichkeit für alle Beteiligten gibt. Und dennoch steckt in einer Kita - zumal in einer mit über 200 Kindern - eine Menge organisatorisches Chaospotential. Beispielsweise in Form einer komplexen Dienstplanung. Öffnungszeiten von 06:00 bis 17:45 Uhr wollen durch Kolleg/innen, die zwischen sechs und acht Stunden täglich arbeiten, abgedeckt sein. Auf dem Papier ist eine solche Planung schon schwer genug. Wenn in der Realität dann aber ein/e Kolleg/in mal krank wird, ein Elterngespräch oder einen anderen Termin hat, ist dies schnell der berühmte Schmetterlingsschlag, der das Gesamtsystem ins Wanken bringt.
Im Umkehrschluss gilt es, bei allen Vorhaben und Routinen die Komplexität dieses Systems zu berücksichtigen. Also etwa bei der Planung eines Elternabends berücksichtigen, dass es neben Einladung, Raum und Inhalt der Beachtung weitreichenderer Folgen bedarf...
Zum Beispiel so: Im Veranstaltungsraum übt ansonsten zur Zeit, an dem der Elternabend stattfinden soll,  die Tanzgruppe. Die ist zwar räumlich umorganisiert, aber das wissen längst nicht alle Teilnehmer/innen. Also geht gelegentlich die Tür auf - und dies mit einer Frage nach der Tanzstunde einher. Der Raum übrigens wurde ausgerechnet am selben Tag ab mittags zur Reinigung der Teppiche des Hauses genutzt und war mit eben diesen ausgelegt. Daran scheitert der Plan, ihn bereits in der Mittagspause einzuräumen. Das wiederum wäre von großem Vorteil gewesen, weil die Kombination aus eigenem Betreuungsdienst bis zur Minute des geplanten Beginns des Elternabends und der Tatsache, dass die mit Elternabende Kollegin von morgens an arbeitet und ihr eine Pause am Nachmittag einfach zusteht, für arge Engpässe in der unmittelbaren Elternabend-Vorbereitung sorgt. Bleibt als einzige Option, den eigenen Dienst zu Ungunsten der Kolleg/innen, die im Garten über das Wohl der Kinder wachen, um zwanzig Minuten zu verkürzen, um wenigstens diese Zeit noch zur Verfügung zu haben, um den Raum einzurichten, die Technik vorzubereiten und allen Eltern persönlich einen guten Tag zu wünschen.
Später am Abend verstehe ich dann auch, warum eine der Kolleginnen bei meinem Weggehen bemerkt, dass sie gar nichts von dem Elternabend wusste. Sie  hat Spätdienst und betreut damit jene Kinder, deren Eltern beim Elternabend sind und keine alternative Betreuung organisieren konnten. Da der Elternabend nicht punkt 17:45 Uhr endet, sammelt sie heute - zu Recht leicht genervt ob der vorherigen Unwissenheit - Überstunden-Zeit. Die Entschuldigung samt Erklärung folgt am nächsten Tag.
Manchmal nervt mich mein neuer Job. Aber noch nicht ein einziges mal wegen der Kinder. Es ist dieses merkwürdig abstrakte und dennoch so wirkungsmächtige System Kita, das immer und immer wieder ausbremst. Und zum ersten mal bin ich mir unsicher, ob sich in solchen Systemen männliche und weibliche Kommunikationsweisen nicht nur unterscheiden sondern im ungünstigen Fall behindern. Bleibt wohl zu beobachten. Ich hätte es halt vorher gern schwarz auf weiß auf Papier gehabt: eine "Checkliste Elternabend für Einsteiger/innen" oder etwas in der Art. Frauen scheinen das nicht zu brauchen...

Freitag, 19. September 2014

Aufladungen

Freitage in der Kita sind komplex. Das liegt zum einen daran, dass Erzieher/innen sich auf ihr Wochenende freuen und vielleicht etwas weniger angespannt sind. Andererseits stecken den Kindern vier Tage Kita in den Knochen. Und um trotz dieses Umstandes den morgendlichen Gang in die Kita erträglich oder überhaupt erst möglich machen zu können, deuten nicht wenige Eltern schon einmal vorsichtig an, was am Wochenende alles passieren wird.

Gefangen zwischen Kitaerschöpfung und Vorfreude auf das verheißungsvolle Wochenende hoffen die Kinder auf ein möglichst schnelles Vergehen der Zeit, treffen aber wiederum auf Erzieher/innen, die bereits einen Gang zurückgeschaltet haben - auch im Wissen um das Kommende. Ein Teufelskreis, der beim Mittagsschlaf seinen Höhepunkt findet, bevor abholbereite Eltern nach dem Vesper  schließlich Kind für Kind ins Wochenende holen.
Verdichtet wird solch emotionale Ausgangslage, wenn gleich morgens das Wetter so richtig mitspielt. Zum Beispiel, wenn es begleitend zum Frühstück ordentlich Gewitter gibt und der Garten dabei so richtig aufweicht. Die dabei entstehenden Aufladungen gehen sofort in den Energiehaushalt der Kinder über. Zwar gibt es für alle Regenkleidung und natürlich geht es nach dem Gewitter raus. Das Procedere des An- und späteren Ausziehens passt aber so gar nicht in die Ausgangslage.

Gelassenheit ist manchmal keine leichte Übung. Wohl aber eine wichtige. Und gerade an solchen Tagen braucht es Orientierung fürs Kind. Also wird der Tagesablauf mit seinen Ritualen und Regelmäßigkeiten heute besonders akkorat eingehalten. So entsteht Orientierung und das Gefühl von Durchschaubarkeit des Tages. Beides hilft, die Zeit bis zum Beginn des Wochenendes besser zu überblicken...

Sonntag, 14. September 2014

Das Wort zum Sonntag

Ich würde sagen, es ist problematisch, wenn ein/e Erzieher/in, der/die in ihrer Gruppe ca. ein Viertel Kinder mit Migrationsanteil betreut, davon spricht, dass man dafür sorgen müsse, "nicht mehr so viele Asylanten reinzulassen". 
Das finde ich persönlich problematisch. Für eine im Umgang mit Eltern und Kindern wertschätzende Pädagogik ist das aber absolut unmöglich.
Haltungen kann man eben nur bedingt vermitteln oder "lehren". Bestimmte Haltungen aber muss man einfach erwarten können. Finde ich.

Montag, 8. September 2014

Grenzerfahrung

Grenzen gilt es zu setzen! Sie dienen der Ordnung und sind wichtig für die Orientierung.


Der Fahrzeugpark etwa darf nicht irgendwie genutzt werden. Schon gar nicht kreativ. Die Rikscha (ein wunderbares Kinderfahrgerät, auf dem ein Kind sitzen kann, während es ein anderes recht einfach zieht) wird "bei uns eigentlich nicht rausgegeben". Befahren wird nur ein einsehbares Wegrondell und zwar in nur eine Richtung. Dabei ist darauf zu achten, dass Fahrzeuge nur bergan angeschoben werden dürfen, während kurz vor der unteren Kurve rechtzeitig zu bremsen ist. Drei Runden darf die Fahrt dauern (bei mancher Erzieherin auch nur zwei), wenn andere Kinder auch fahren wollen. Danach erfolgt an der markierten "Haltestelle" ein Fahrer/innen-Wechsel.
Schaukeln übrigens ist nur in eine Blickrichtung erlaubt. Vor allem aber ist es in der Kita nur jenen Kindern erlaubt, die schon schaukeln können. Für die anderen ist die Schaukel tabu. Die Nutzung der Wasserstrecke ist erstens nur mit Wasser (auf gar keinen Fall mit Schlamm) und zweitens nur unter Anwesenheit einer Erzieherin gestattet.
Bei nassem Boden wird das Fußballfeld nicht genutzt. Stöcke werden nicht in die Hand genommen. Der Ablauf des Procedere vom Hereinkommen aus dem Garten bis zum Mittagsschlaf ist vollständig geregelt. Schuhe/Jacke aus, Hände waschen, Tee holen, Becher wegbringen, Essen bringen lassen, Besteck erst zur Hand nehmen, wenn alle ihren Teller haben, essen und dann sitzen bleiben bis alle aufgegessen haben. Dann Stuhl in die Bauecke tragen, sich dort ausziehen, anstellen um das eigene Bett abzuholen, Bett aufstellen, Schlafanzug anziehen, ins Bad zum Zähneputzen, hinlegen, umdrehen, schlafen. Schlafen! Alle! So und nicht anders.
Im Verlauf der Jahre scheint jeder Erzieherin die Einführung einer Regel irgendwie wichtig gewesen zu sein. Und weil man darüber scheinbar nicht spricht und man die Kollegin nicht infrage stellen will, wird die Regel einfach von allen übernommen. So verdichtet sich der Tag auf eine Ansammlung schier unüberblickbarer Regeln. Vor allem aber verdichtet sich der Tag auf eine Ansammlung des Aufrufens dieser Regeln.
Nun braucht es in einer Kita - zum Funktionieren des Miteinanders, zur Abwendung von Gefahren, für ein erträgliches Lärmpensum, etc. - zweifelsfrei Regeln. Wenn aber jedwede Kreativität von Kindern nur im Rahmen stringent schmal eröffneter Bahnen stattfinden kann, ist das nah an der Verhinderung mancher positiver Entwicklung. Die bessere Alternative zur für ewig und immer geltenden Regel wäre doch wohl die der jeweiligen Situation angepasste Diskussion über das Verhalten. "Es sind gerade sehr viele kleine Kinder hier in der Nähe. So lang müsstet ihr bitte langsamer fahren." Das geht auch, wenngleich es natürlich mehr anstrengt, als das Aufstellen immerwährender Regeln. Gewinnbringend für die Kinder wäre es jedoch allemal. Zumal sie ganz nebenbei lernen würden, sich mit eigenen Argumenten in Diskussionen zu begeben - und bestenfalls sich in diesen Diskussionen auch zu bewähren.

Grenzen und Regeln sind da, um sie zu überwinden. Sagte mir einst ein sehr sympathischer Mann, der in Frieden mit allen anderen Menschen ein erfülltes Leben führt. Und Recht hat er. Im Großen und im Kleinen. Vielleicht schaut man manchmal einfach einen Moment weg, wenn es ein Kind mit einer zu strengen Regel nicht ganz so streng nimmt? Oder diskutiert zumindest den Sinn und die Existenz dieser Regel, anstatt sie nur immer wieder aufzurufen.