Montag, 8. September 2014

Grenzerfahrung

Grenzen gilt es zu setzen! Sie dienen der Ordnung und sind wichtig für die Orientierung.


Der Fahrzeugpark etwa darf nicht irgendwie genutzt werden. Schon gar nicht kreativ. Die Rikscha (ein wunderbares Kinderfahrgerät, auf dem ein Kind sitzen kann, während es ein anderes recht einfach zieht) wird "bei uns eigentlich nicht rausgegeben". Befahren wird nur ein einsehbares Wegrondell und zwar in nur eine Richtung. Dabei ist darauf zu achten, dass Fahrzeuge nur bergan angeschoben werden dürfen, während kurz vor der unteren Kurve rechtzeitig zu bremsen ist. Drei Runden darf die Fahrt dauern (bei mancher Erzieherin auch nur zwei), wenn andere Kinder auch fahren wollen. Danach erfolgt an der markierten "Haltestelle" ein Fahrer/innen-Wechsel.
Schaukeln übrigens ist nur in eine Blickrichtung erlaubt. Vor allem aber ist es in der Kita nur jenen Kindern erlaubt, die schon schaukeln können. Für die anderen ist die Schaukel tabu. Die Nutzung der Wasserstrecke ist erstens nur mit Wasser (auf gar keinen Fall mit Schlamm) und zweitens nur unter Anwesenheit einer Erzieherin gestattet.
Bei nassem Boden wird das Fußballfeld nicht genutzt. Stöcke werden nicht in die Hand genommen. Der Ablauf des Procedere vom Hereinkommen aus dem Garten bis zum Mittagsschlaf ist vollständig geregelt. Schuhe/Jacke aus, Hände waschen, Tee holen, Becher wegbringen, Essen bringen lassen, Besteck erst zur Hand nehmen, wenn alle ihren Teller haben, essen und dann sitzen bleiben bis alle aufgegessen haben. Dann Stuhl in die Bauecke tragen, sich dort ausziehen, anstellen um das eigene Bett abzuholen, Bett aufstellen, Schlafanzug anziehen, ins Bad zum Zähneputzen, hinlegen, umdrehen, schlafen. Schlafen! Alle! So und nicht anders.
Im Verlauf der Jahre scheint jeder Erzieherin die Einführung einer Regel irgendwie wichtig gewesen zu sein. Und weil man darüber scheinbar nicht spricht und man die Kollegin nicht infrage stellen will, wird die Regel einfach von allen übernommen. So verdichtet sich der Tag auf eine Ansammlung schier unüberblickbarer Regeln. Vor allem aber verdichtet sich der Tag auf eine Ansammlung des Aufrufens dieser Regeln.
Nun braucht es in einer Kita - zum Funktionieren des Miteinanders, zur Abwendung von Gefahren, für ein erträgliches Lärmpensum, etc. - zweifelsfrei Regeln. Wenn aber jedwede Kreativität von Kindern nur im Rahmen stringent schmal eröffneter Bahnen stattfinden kann, ist das nah an der Verhinderung mancher positiver Entwicklung. Die bessere Alternative zur für ewig und immer geltenden Regel wäre doch wohl die der jeweiligen Situation angepasste Diskussion über das Verhalten. "Es sind gerade sehr viele kleine Kinder hier in der Nähe. So lang müsstet ihr bitte langsamer fahren." Das geht auch, wenngleich es natürlich mehr anstrengt, als das Aufstellen immerwährender Regeln. Gewinnbringend für die Kinder wäre es jedoch allemal. Zumal sie ganz nebenbei lernen würden, sich mit eigenen Argumenten in Diskussionen zu begeben - und bestenfalls sich in diesen Diskussionen auch zu bewähren.

Grenzen und Regeln sind da, um sie zu überwinden. Sagte mir einst ein sehr sympathischer Mann, der in Frieden mit allen anderen Menschen ein erfülltes Leben führt. Und Recht hat er. Im Großen und im Kleinen. Vielleicht schaut man manchmal einfach einen Moment weg, wenn es ein Kind mit einer zu strengen Regel nicht ganz so streng nimmt? Oder diskutiert zumindest den Sinn und die Existenz dieser Regel, anstatt sie nur immer wieder aufzurufen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen